Die eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben, kann eine große Herausforderung sein. Schließlich sind wir alle mehr als die Summe unserer Erinnerungen. Wer sich daran macht, seine Autobiografie zu verfassen, wird bald feststellen, dass er den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
Je mehr wir uns mit unserer Vergangenheit beschäftigen, umso mehr Erinnerungen tauchen auf. Unser Gedächtnis ist ein seltsamer Ort und gibt nach und nach auch Erlebnisse frei, die wir schon längst vergessen hatten. Das kann spannend und aufregend sein, aber auch ziemlich überwältigend. Was gehört eigentlich alles in so eine Biografie? Was ist der rote Faden? Wie ordne ich das Erlebte an?
Und was ist eigentlich mit den Persönlichkeitsrechten von den Menschen, die in meinem Buch vorkommen? Muss ich sie um Erlaubnis fragen? Darf ich alles erzählen, was zwischen mir und anderen passiert ist?
Und wie sieht das im Anschluss mit der Veröffentlichung aus? Interessiert das, was ich da geschrieben habe, überhaupt jemand?
Das sind nur ein paar der Fragen, die sich Menschen stellen, die ihre Autobiografie schreiben. Schon die Organisation des Erinnerungsprozesses kann eine Herausforderung sein. Sich erinnern und gleichzeitig schreiben bedeutet, kognitiv und emotional eine Höchstleistung zu vollbringen. Kein Wunder also, dass viele Menschen davor zurückschrecken, obwohl der Wunsch, die eigene Lebensgeschichte als Buch erscheinen zu lassen, groß ist.
Wie schreibe ich eine Biografie?
Beim biografischen Schreiben kommt es zunächst darauf an, den Prozess des Erinnerns zu begleiten und zu gestalten. Ich mache das durch biografische Interviews, die ich auf Tonband aufnehme, um sie später zu transkribieren. So beginne ich die Interviews meistens mit einer Impulsfrage wie: „Was ist Ihre erste bewusste Erinnerung als Kind?“
Erinnern ist ein Prozess, wir müssen die Bilder, Erlebnisse, Emotionen erst aktiv aus unserem Gedächtnis abrufen, um wieder Zugang zu ihnen zu haben und das braucht meistens Zeit und auch einen aktiv zuhörenden Gesprächspartner.
Darin, im wirklichen, aufmerksamen, Zuhören, liegt ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich schenke meinem Gegenüber, wenn er oder sie erzählt, meine ganze Aufmerksamkeit, ich bin mitfühlend, aber nicht bewertend und ich lasse das, was die Person mir erzählt, vor meinem inneren Auge auferstehen, so, als erlebte ich es selbst. Das hilft mir, mich in sie hineinzuversetzen.
Auf das Zuhören folgt das Schreiben. Hier gilt es, für den jeweiligen Menschen einen eigenen, unverwechselbaren Sound zu erschaffen. Eine Frau über 80 hört sich anders als ein junger Mann Anfang 20. Beide können viel zu erzählen haben, doch wie sie sich ausdrücken, wie sie die Welt und ihr Leben bewerten ist sehr unterschiedlich.
Biografiearbeit bedeutet, das Einzigartige, Besondere eines Menschen einzufangen und narrativ auszudrücken. Was macht diese Person aus? Was sind ihre Stärken? Wie wurde sie, wer sie ist? Was waren die Höhe- und Wendepunkte in ihrem Leben? Welche wiederkehrenden Motive und Themen gibt es? Welche übergeordneten Zeitthemen berühren den individuellen Lebenslauf? Was hat sie beruflich erreicht, was sind ihre Leidenschaften und Hobbys, wie ist es um ihre Beziehungen zu anderen Menschen bestellt? Was hat sie bewirkt, was möchte sie noch bewirken? Wofür steht sie?
Aus diesen vielen, einzelnen Fäden wird am Ende ein großer, bunter Teppich mit ganz eigenen Farben und einem ganz besonderen Muster gewebt, das die Biografie ergibt. Für mich ist das immer wieder ein spannender und intensiver Prozess, den ich mit meinen Kunden erlebe. Für mich der schönste Beruf auf der Welt!